Offener Brief an Herrn Rütter vom 16.11.2014
Sehr geehrter Herr Rütter,
da ja gerne einmal eine kritische Anmerkung auf ihrer Seite verschwindet, wähle ich jetzt diesen Weg: Heute Morgen sah ich in einer Wiederholungssendung Ihren Beitrag beim VIP Hundeprofi , in dem Sie einen jagdlich motivierten Schäferhundmischling der Moderatorin Barbara Hahlweg trainierten.
Nachdem ich ja schon von Wurfketten und Wasserpistolen in ihren Sendungen ja nicht gerade verwöhnt bin und Ihr Training ja deshalb für alles andere als GEWALTFREI halte, so war ich heute doch massiv entsetzt über den Einsatz des Sprühhalsbandes .Ihre halbherzig versuchte Warnung, dass ein Hund vollkommen verschüchtert werden könnte, wenn er vorher nicht Alternativverhalten aufgebaut hätte, hat mich auch nicht überzeugt.
Wenn Sie solche Dinge einsetzen müssen, so habe ich doch ernste Zweifel, ob Sie überhaupt die Grundsätze der modernen Lerntheorien bei Hunden verstanden haben oder jetzt versuchen, sich dem mexikanischen „Kollegen“ mit Einschaltquoten anzunähern, denn fachlich sind doch diese Einsätze nach heutiger moderner Erziehung vollkommen daneben…und der Einsatz dieser Dinge im Fernsehen (bedenken Sie die Nachahmer, die darin ihre Wunderwaffe sehen ) ist brandgefährlich für die Traumatisierung unzähliger Hunde…aber na klar, Herr Rütter und seine Trainer stehen dann diesen Menschen wieder gern zur Seite..wenn sie nicht im Tierheim landen, weil sie dann endgültig unhandelbar werden.
Diesem jungen agilen Hund , der ach so „respektlos“ ist, nur weil er hochspringt in seiner Freude, dass es raus geht (ja natürlich kann und sollte man daran arbeiten, aber Respektlosigkeit erkenne ich darin nicht !) , diesem Hund wird jetzt im Antijagdtraining nicht der Ton, nicht Stufe 1, sondern die von Ihne „volle Packung“ genannt, gegeben.
Der erste Sprühstoß gerät schon zeitlich daneben, weil der Hund ja bereits im Zurückkommen war …na traumhafte Verknüpfungen !! (Ironie) …dann muss die Hündin mit Versuch 2 unsicher gemacht werden (schon diese Wortwahl!) um dann bei Versuch 3 sich hinter ihrem Frauchen zu verstecken, beschwichtigend, ängstliche Körperhaltung , die Welt nicht mehr verstehend … um ihr das „Jagen madig zu machen“…
Es tut mir leid, Herr Rütter … als Fachmann haben Sie sich damit nicht erwiesen , zumindestens nicht als einer, der heute modern und gewaltfrei (gewaltfrei ist ,wohlgemerkt, nicht als antiautoritäre Wattebauschwerfergeschichte zu verstehen) arbeitet. Und Frau Hahlweg möchte ich fragen, ob sie ihre Kinder auch so aversiv erziehen würde, wenn die ein Problemverhalten zeigen … und warum sie es zuläßt, dass man ihren Hund so verunsichert. Ich hätte bereits bei dem Versuch die Hundeschule verlassen ..denn Hundetrainer ist bis heute kein geschützter Begriff und es kann jeder werden, der es sich zutraut…so viel zu Fachleuten .. sie müssen keine Ausbildung haben…
Ein Schelm, der sich jetzt Böses denkt…
Zu diesem Thema gibt es eine schöne Veröffentlichung, die ich Ihnen hier nicht vorenthalten möchte..
Köpfchen statt Knöpfchen…das gilt auch für die viel gepriesenen Sprühhalsbänder, die in verschiedenen Ausführungen den Markt erobert haben. Spätestens seit uns Hunde-Nanny Katja Geb-Mann allwöchentlich im deutschen Fernsehen vorführt, wie jeder Hund, ganz gleich welches Problem er seinen Haltern vermeintlich oder tatsächlich bereitet, mit Einsatz einer Fernbedienung in das Verhalten gepresst werden kann, das Herrchen oder Frauchen beliebt, finden die Halsbänder, die einen angeblich völlig harmlosen Spraystoß von sich geben, steigenden Absatz.
Doch schon der gesunde Menschenverstand lässt einen aufhorchen, wenn Hersteller und Anwender behaupten, dass der jederzeit auszulösende Sprühstoß für den Hund „gar nicht schlimm“ sei. Da fragt man sich doch selbst nach nur kurzem Nachdenken, wie es denn möglich sein soll, instinktive, genetisch fixierte Verhaltensweisen wie zum Beispiel das Jagdverhalten durch etwas zu unterdrücken, das dem Hund gar nichts ausmacht?! Dem Hundehalter wird generös angeboten, das Gerät doch selbst mal in die Hand zu nehmen oder um den Hals zu legen, während der Trainer den Auslöser betätigt… und tatsächlich,so schlimm war das doch gar nicht. Ein kurzes „Zischhhh“ mit etwas feucht-kalter Luft. „Ja“, bestätigt der überzeugte Hundehalter, „das war gar nicht schlimm.“ Was Hersteller und Trainer jedoch geflissentlich verschweigen (aus Unwissenheit oder in betrügerischer Absicht?!), ist die Tatsache, dass plötzlich auftretende, nicht eindeutig zuzuordnende Zischlaute beim Hund als Angst auslösende, sogar lebensbedrohliche Laute abgespeichert sind, bei denen sofort die Flucht ergriffen werden muss. Jeder kennt den Anblick eines Hundes, der sich selbst im Körbchen `zig mal um die eigene Achse dreht, bevor er sich schließlich gemütlich niederlegt. Es handelt sich bei dieser Verhaltensweise um ein Erbe aus den Zeiten, in denen der Hund noch weitgehend draußen in Freiheit lebte. Bevor er sich hinlegte, drehte er sich mehrfach im Gras oder Laub, um die ausgesuchte Liegestelle als ungefährlich abzusichern. Sollte beim Drehen ein Zischlaut (zum Beispiel von einer Schlange) zu hören sein, würde er sich durch einen Sprung zur Seite in Sicherheit bringen. Biologisch sinnvoll… und diesen genetisch fixierten, Angst auslösenden Zischlaut bringen wir Menschen nun in den unmittelbaren Kopfbereich des Hundes! Und drücken vielleicht gleich mehrfach das Auslöseknöpfchen, worauf der Hund ganz leicht nicht nur in Angst, sondern sogar in Panik versetzt werden kann – ohne die Möglichkeit, sich durch die Flucht zur retten! Eigentlich ist dieser Umstand allein schon Grund genug, niemals zu erlauben, dass einem uns anvertrauten Lebewesen ein solches Gerät angetan (im wahrsten Sinne des Wortes!) wird. Es gibt aber noch mehr Probleme: Der Hund weiß nie, wann und vor allem warum der Sprühstoß ausgelöst wird, befindet sich also in ständiger Erwartungsunsicherheit.
Wer wissen möchte, wie sich das anfühlt, dem empfehle ich folgendes Eigenexperiment, das nicht in Anwesenheit eines Hundes durchgeführt werden sollte, damit dieser nicht unnötig verunsichert wird: Bitten Sie ein Familienmitglied oder einen Freund, Sie wirklich stark zu erschrecken, zum Beispiel durch einen lauten Schrei oder dadurch, dass er plötzlich die Stereoanlage zu voller Lautstärke aufdreht oder zwei Töpfe aufeinander schlägt, wenn Sie gerade überhaupt nicht damit rechnen, sich zum Beispiel entspannt im Sessel zurücklehnen oder gerade mit Freunden Karten spielen. Das Experiment sollte mindestens mehrere Stunden, am besten ein oder zwei Tage dauern und der Schreckreiz sollte in dieser Zeit mehrfach ausgelöst werden – ohne dass Sie wissen, wann dies sein wird. Sie werden merken, dass der eigentliche Reiz, wenn er dann endlich auftritt, bei weitem nicht so schlimm zu ertragen ist, wie die zermürbende Warterei auf ihn. Obwohl man ihn fürchtet, wünscht man ihn schon beinahe herbei in der Hoffnung, dann wieder eine Weile Ruhe zu haben, was aber nicht so ist, da er kurz nach dem Auftreten ein zweites oder drittes Mal ausgelöst wird und dann wieder stundenlang gar nicht, ganz wie es Ihrem Helfer beliebt. Keine angenehme Vorstellung, nicht wahr?!
Aber es gibt noch weitere Probleme. Gleich mehrere ergeben sich aus der Tatsache, dass Hunde über gedankliche Verknüpfung lernen. Trägt der Hund das Halsband und erhält den Sprühstoß, wenn er zum Beispiel auf mehrfachen Zuruf nicht kommt, so möchte der Mensch ihm damit zeigen, dass er dafür mit Schreckreiz bestraft wird, dass er ungehorsam ist. Es kann aber gut sein, dass er in genau diesem Moment zu einem kleinen Kind, einem Jogger oder einem anderen Hund schaut – und den Strafreiz damit verbindet. Das Ergebnis ist dann ein Hund, der noch immer nicht besser auf Abruf reagiert, dafür aber Ängste, evtl. sogar durch die Angst ausgelöste Aggressionen, gegen das entwickelt, was er gerade sah. Die Hundehalter sind dann ratlos, weil ihr Hund „plötzlich“ kleine Kinder meidet oder Jogger anknurrt, mit denen er doch bisher bestens auskam. Viele solcher Beispiele finden sich in meiner Hundeschule ein, erst kürzlich ein Rhodesian Ridgeback Rüde, dessen Sprühhalsband immer ausgelöst wurde, wenn er zum Wildern durchbrennen wollte. Bei diesen Spaziergängen war allerdings auch immer seine Gefährtin, der Zweithund der Familie, anwesend. Die Halter kamen nun nicht wegen des unerwünschten Jagdverhaltens zu mir in die Hundeschule, mit dem sie sich inzwischen abgefunden hatten, sondern weil der Rüde seit Wochen die Nähe der Hündin mied. Immer wenn diese den Raum betrat oder sich, so wie früher, zu ihm kuscheln wollte, verließ er mit ängstlichem Gesichtsausdruck das Zimmer und das konnte man sich nicht erklären… Was hatte man diesen beiden Hunden angetan! Welche Gefühle wurden in den Tieren ausgelöst?! Der Rüde hatte nun Angst vor seiner Gefährtin, die er früher heiß und innig liebte, während diese nicht verstehen konnte, weshalb er, der vorher immer leidenschaftlich mit ihr spielte und tobte, sie jetzt mied. Die gleiche Trainerin, die den Einsatz des Sprühhalsbandes empfohlen hatte, empfahl jetzt übrigens, einen der Hunde abzugeben, weil die Tiere sich unterschiedlich entwickelt hätten und einfach nicht mehr gut zueinander passen würden. Die Ängste des Rüden erklärte sie über die angeblich dominante Ausstrahlung der Hündin. Man könnte weinen, wenn man Hunden mit einem solchen Schicksal gegenüber steht – oder es packt einen einfach nur die Wut.
Die Probleme gehen noch weiter, denn nichts generalisiert sich bei Hunden so schnell, wie
Geräuschangst. Nicht nur dieser Rüde, sondern auch zahlreiche andere Hunde entwickeln nach Einsatz des Sprühhalsbandes Ängste vor allen möglichen Geräuschen. Das Öffnen einer kohlesäurehaltigen Getränkeflasche, das Zischen von heißem Fett in der Pfanne, Knall- und Schussgeräusche, die dem Hund vorher egal waren, versetzen ihn jetzt in Angst und Schrecken. Der oben erwähnte Ridgeback Rüde zum Beispiel verzog sich mit eingezogener Rute unter den Tisch des Besprechungsraums, als ich eine Wasserflasche öffnete. Dies tat ich nicht, weil ich Durst hatte – trauriger Weise gehört es inzwischen schon fast zum Standardprogramm beim ersten Kennenlernen und Analysieren eines mir vorgestellten Hundes auszutesten, ob er schon mit Sprühhalsband gearbeitet wurde und welche Wunden dies an seiner Seele hinterlassen hat. Die Halterin war auch sehr erstaunt, als ich ihr nach dem „Flaschentest“ auf den Kopf zusagte, dass an ihrem Hund sicher schon mit Sprühhalsband gearbeitet worden war. Das wollte sie mir eigentlich gar nicht erzählen, weil sie schon gehört hatte, dass ich gegen den Einsatz dieser Geräte bin. Nachdem ich sie auf die Reaktion ihres Hundes hingewiesen hatte, war sie sehr betroffen. Und wütend, nachdem ich ihr erklärte, weshalb ihr Rüde jetzt Angst vor der Hündin und vor allen möglichen Geräuschen hatte. Wütend auf die Trainerin, die sie auf diese „unerwünschten Nebenwirkungen“ nicht aufmerksam gemacht, sondern immer erklärt hatte, wie harmlos der Einsatz des Gerätes sei. Für mich stellt sich die Frage, ob Kollegen, die es einsetzen, um diese Nebenwirkungen nicht wissen, oder ob sie diese bewusst verschweigen, weil kaum jemand bereit wäre, den Einsatz zu erlauben, wenn sie bekannt wären. Und ich stelle mir die Frage, was von beiden eigentlich schlimmer ist…
Last not least gibt es Probleme mit der Technik. Es soll schon vorgekommen sein, dass das Gerät durch andere Funkfrequenzen oder sogar die Fernbedienung eines in der Nähe befindlichen Halsbandes an einem anderen Hund ausgelöst wurde. Der Strafreiz wird dann also einem Hund verabreicht, der einfach nur herumsteht oder gerade spielt oder sonst etwas tut. Das steigert die Erwartungsunsicherheit natürlich noch mehr und erhöht die Trefferquote auf Fehlverknüpfungen immens. Zusätzlich löst es nicht immer zuverlässig aus, kann zum Beispiel durch Wetterlagen mit feuchter Luft (Nebel, Regen) verzögert oder gar nicht reagieren. Schließlich zeigt es auch nicht an, wann die Batterie leer ist, wodurch es passieren kann,dass der Auslöser gedrückt wird und nichts geschieht. Dann käme man durch das Ausbleiben des Strafreizes (wenn der Hund denn überhaupt verstanden hätte, wofür er eigentlich bestraft werden soll) in den Bereich der variablen Bestätigung, was das unerwünschte Verhalten sogar noch verstärkt. Der Hund würde nämlich lernen, dass er das Verhalten nur immer wieder zeigen muss, bis er schließlich wieder zum Erfolg (in diesem Fall das Ausbleiben des Strafreizes und die erfolgreiche Durchführung des Verhaltens) kommt.
Man kann es also drehen und wenden, wie man will: Sprühhalsbänder sind ganz und gar nicht harmlos, im Gegenteil sogar sehr gefährlich. Manche Hunde werden durch sie so verunsichert, dass sie in die so genannte erlernte Hilflosigkeit fallen, was zur Folge hat, dass sie kaum noch Aktionen zeigen oder Handlungen anbieten, weil sie in ständiger Angst vor dem für sie unkalkulierbaren Strafreiz leben. Um diesen Tieren – und ihren verzweifelten Haltern – zu helfen, braucht es ein meist lang angelegtes, gut durchdachtes Training, das den Hund aus dieser erlernten Hilflosigkeit und seinen vielfältigen Ängsten wieder herausholt.
Sprühhalsbänder gaukeln dem Hundehalter vor, mal eben schnell per Fernbedienung eine Lösung für vermeintliche oder tatsächlich entstandene Probleme zu haben. Aber so einfach ist das nicht. Hunde sind uns anvertraute, fühlende und denkende Lebewesen, die nicht beliebig manipulierbar sind und deren Lernverhalten sich von dem unseren ganz erheblich unterscheidet. Ich kann deshalb nur dringend empfehlen, jeden Ausrüstungsgegenstand und jede Methode, der/ die durch Hersteller oder Trainer empfohlen wird, vor Anwendung am Hund genau zu prüfen, sich gut zu informieren und im Zweifelsfall nach dem guten alten Motto zu entscheiden, das auch für unsere Hunde gelten sollte: Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu.
© Clarissa v. Reinhardt
animal learn
P.S.: Hiermit lade ich alle Hundefreunde ein, bei der Verbreitung dieses Textes zu helfen. Ich erlaube als Autorin ausdrücklich, ihn (vollständig und unverändert und unter Nennung der Quelle) auf anderen Homepages zu veröffentlichen, auszudrucken und zu verteilen oder auf ihn hinzuweisen. Je mehr Menschen um die Tücken und Gefahren des Sprühhalsbandes wissen, je mehr Hunden bleibt dessen Anwendung – hoffentlich – erspart. Ein herzliches DANKE an jeden, der diesen Text weiter gibt.
Wollt ihr noch mehr Infos ? um euch ein Bild zu machen??? :
Der Schreckens-Werkzeugkoffer des CM
- Zischlaute:
Fido dreht beim Anblick von Artgenossen auf – Millan zischt Fido an. Nicht weiter wild und es funktioniert ja prächtig, mag der eine oder andere glauben. Wäre Fido positiv auf diesen Zischlaut konditioniert worden, wäre dem tatsächlich so. Das unerwünschte Verhalten ließe sich mit zischen freundlich unterbrechen, ohne dass Fido Meideverhalten zeigt. Millan hingegen lässt dem Zischlaut für gewöhnlich eine massive Strafeinwirkung folgen, sodass der Zischlaut zur Ankündigung für diese Schmerzeinwirkung wird. - „Berührungen“:
Millan beweist anschaulich, dass das Wort „Berührung“ offenbar Definitionsspielraum hat. Oftmals ist zu sehen, dass er seine Hand wie eine Klaue zu formen versucht und Hunde damit in die empfindliche Halsgegend „beißt“. Er argumentiert, dies mache die Hundemutter bei Welpen ebenfalls. An dieser Erklärung gibt es nicht eine Silbe, die aus kynologischer Sicht nicht in der Luft zerrissen gehört! Millan maßregelt auf diese Weise häufig und wiederholt. Eine wirkungsvolle Strafe jedoch kennzeichnet sich dadurch, dass Wiederholungen unnötig sind. Mehr als drangsalieren macht Millan hier nicht – kein Hund der Welt ist so bescheuert, zu glauben, wir Zweibeiner seien eine Hundemutter und Fido selbst der Welpe. Das macht keinen Sinn – es ist höchst lächerlich! Nur Fido kann darüber nicht lachen. Für ihn ist es lästig, oftmals schmerzvoll und höchst unangenehm. - Tritte:
Ja, ja, Millan-Anhänger möchten es lieber als „Touch“ bezeichnet wissen. Letztlich ist das, was Millan da macht, allerdings nichts weiter als ein Tritt. Insbesondere zum Start der Serie „Der Hundeflüsterer“ wendete Millan diese extreme Einschränkung an: Fido dreht auf, Millan kickt in seine Flanke – mal mehr, mal weniger heftig. Es kann nicht wegdiskutiert werden: Das ist ein Tritt, keine Berührung. Da Millan darauf bedacht ist, Hunde hinter sich zu halten, da die Vierpföter andernfalls die Weltherrschaft an sich zu reißen drohen, gehört mit zu den Problemen an dieser Sache, dass Millan gar nicht hinschauen kann und blind tritt. Das wiederum führt dazu, dass er gar nicht merken kann, wie leicht oder heftig er Hunden in die Flanke tritt. Wirft man nun einen Blick auf die Anatomie des Hundes, wird schnell klar, dass er vom Magen über Niere und Milz bis zum Darm so ziemlich alles treffen kann. Diese Organe werden nicht durch ein Skelett darüber geschützt. Fühlt bei euren eigenen Hunden: Dort, wo Millan Hunden in die Flanke tritt, trifft er Organe – je heftiger der Tritt, umso höher natürlich die Verletzungswahrscheinlichkeit. Und selbst, wenn keine Organe verletzt werden, reagiert der Hund mit Meideverhalten und damit zeigt sich auch dieses Tool aus dem Millan-Werkzeugkoffer als unbrauchbar, weil aversiv. - Reizüberflutung („Flooding“):
Stell dir vor, du hast panische Angst vor Mäusen. Ich nehme dich ans Halsband und führe dich wortlos in einen Raum, in dem es vor Mäusen nur so wimmelt. Das musst du nun aushalten, denn ich halte dich wortlos fest am Halsband und rucke daran, wenn du auch nur mit der Wimper schlägst. Das ist Flooding á la Millan. Flooding bedeutet: Ein Individuum wird mit seinen angstauslösenden Reizen solange konfrontiert, bis es erkennen soll, dass keine Gefahr davon ausgeht. Bei uns Menschen existiert der Vorteil, dass wir noch miteinander reden können. Anstatt dich wortlos in den Mäuseraum zu führen, könnte ich dir die nun folgende Herausforderung auch erklären, könnte dir sagen, dass ich dich im Mäuseraum nicht alleine lasse und wir verschwinden können, wenn es dir zu viel wird. Millan gestattet dies bei Hunden nicht. Vorrangig bei Hunden, die Probleme mit Artgenossen haben, setzt er Flooding ein: Sie werden inmitten vieler Artgenossen gesetzt, dort wahlweise per Hand oder Halsband und Leine fixiert und müssen aushalten. Diese Form der „Gewöhnung“ ist brutal, herzlos – für mich indiskutabel und unter Kynologen mehr als umstritten. Im Rahmen einer Überreizung kann lernen nicht stattfinden. Hunde, die sich in einer solch beängstigenden, grausamen Situation befinden, geben hilflos auf. Sie entkommen ja doch nicht. - Alphawurf:
Fido ist ein sogenannter „Red Zone“-Hund; er befindet sich in der roten Zone – Stufe 10 der Aggression nach Millans Dafürhalten. Bei diesen „Red Zone“-Hunden hält Millan den Alphawurf für hilfreich: Der aggressive Fido wird mit wenigen mehr oder minder geschickten Handgriffen auf die Seite oder den Rücken geworfen und herunter gedrückt. Ja, das passiert in der Tat auch unter Hunden: Einer nervt arg, der andere reagiert kurz, heftig und direkt. Das Ganze ist in wenigen Sekunden vorüber. Die Unterwerfung, also das Drehen auf den Rücken, geschieht übrigens aktiv freiwillig als Reaktion auf die heftige, kurze Zurechtweisung des anderen Hundes – nicht gezwungen. Zumeist zeigen Hunde dieses Verhalten ohnehin im Spiel. Millan jedoch bedroht den Hund massiv, starrt ihm in die Augen und fixiert den am Boden liegenden Hund über längere Zeit, zuweilen minutenlang. Dabei schwätzt er für gewöhnlich mit den beeindruckten Hundehaltern, die ihren Hund noch nie so „entspannt“ gesehen haben wollen. Leider steckt dahinter nur eines: der Hund muss aufgeben. Er hat doch keine Chance mehr, wenn ein wuchtiger Kerl sich so über ihn beugt, ihn bedrohlich in die Augen starrt und ihn an Bewegungen hindert. Eine Hand am Hals und ein, zwei Finger seitlich am Gaumenbereich und jeder Zappelphilip auf vier Pfoten hält still. Entspannend kann diese Haltung nicht sein, denn hierbei beeinträchtigt Millan die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn. Das starke Hecheln des Hundes sowie weit aufgerissene Augen und teilweise blau gefärbte Zungen beweisen dies. Hunde wissen zudem, dass wir Zweibeiner keine Hunde sind, und so können sie unsere Art, den „Alphawurf“ zu praktizieren, überhaupt nicht deuten. Aus Hundesicht stürzt sich ein wild gewordener Zweibeiner auf ihn und trachtet nach seinem Leben. Klingt nicht sehr entspannend, oder?
Dies ist nur ein winziger Teil des grausamen Werkzeugkoffers von Cesar Millan. Starkzwangmittel kommen ebenfalls zum Einsatz: Die hierzulande verbotenen Stromhalsbänder genauso wie ein eigens erfundenes Halsband, das sich prima nebenher vermarkten lässt. Tja, alles, um die Pelznase gefügig zu machen – ob sie will oder nicht, schließlich ist der Mensch der Rudelführer und das Tier muss folgen.